Lasst uns mal das ganze von Anfang an betrachten. Was zum Teufel ist da eigentlich passiert? Wie wurden wir von kuscheligen Neandertalern zu haarlosen Zweibeinern? Wie sieht eigentlich so ein Stammbaum von unseren Haaren aus? Warum hat uns die Evolution unseren Pelz genommen, den unsere Affenbrüder noch so stolz tragen dürfen? Und woher kommt unsere kosmetische Obsession jedes noch so kleine Haar, welches uns geblieben ist, herauszureißen?
Haar ist wohl eines der wenigen Merkmale, das uns alle verbindet. Deswegen frage ich mich als erstes: Warum haben wir unsere Behaarung verloren? Und zweitens, welchen Stellenwert hat das Haar, was wir noch haben?
Unser genetischer Vorteil ist Schuld. Dank ihm wurden wir zu nackten Primaten. Unsere Bedürfnisse haben sich einfach verändert, als wir anfingen in ein wärmeres Klima zu ziehen, aufrecht zu gehen und Beute zu jagen. Da war es vor allem wichtig, Parasiten fernzuhalten und die Wärme zu regulieren. Mit weniger Haar hatte man eine bessere Chance das Wetter zu überstehen und galt demnach auch als attraktiver. Und mal so ganz nebenbei, wir sind ca. 1 Millionen Jahre nackt herumgelaufen, bis wir Kleidung erfunden hatten.
Also, was tut eigentlich das Haar, was überlebt hat? Wir haben zwar Haar verloren, aber nicht unsere Haarwurzeln. Wir haben immer noch dieselbe Anzahl, nämlich ganze 5 Millionen und diese verteilen sich über unseren ganzen Körper. Wir werden mit ihnen schon geboren und sie werden nie weniger oder mehr. Sie kommen jedoch zu anderen Zeitpunkten in unserem Leben zum Vorschein.
Die meisten Haare haben wir immer noch auf unserem Kopf. Kopfhaar fungiert als unser eingebauter Sonnenschutz. Augenbrauen verhindern das Schweiß uns in die Augen läuft und helfen unserer Mimik ungemein. Wimpern beschützen unser Sichtfeld und lassen nicht zu, dass kleine Partikel oder Dreck in unsere Augen gelangen. Die Behaarung auf unseren Armen und Beinen reguliert unsere Körpertemperatur, außerdem reagieren wir durch sie empfindlicher auf Berührungen. Und zuletzt hilft unsere Scham- und Achselbehaarung unserem sexuellen Empfinden. Außerdem schreit der Flaum da unten ja regelrecht Geschlechtsreife. Beide Bereiche verfügen zudem über Apokrine Drüsen, die ihren eigenen Duft abgeben. Dieser Duft ist bei jedem Menschen einzigartig und die Haare nehmen diesen Geruch auf und übertragen ihn— unterschätze deswegen niemals den persönlichen Geruch deines Liebhabers.
Nachdem wir uns daran gewöhnt hatten nicht mehr so behaart zu sein, kümmerten wir uns auch immer weniger um das Aussehen unserer Körperbehaarung. Die Ausnahme hier bildeten nur unsere Haare auf dem Kopf. Das sollte sich aber dann doch ändern. Speziell im letzten Jahrhundert gab es da den ein oder anderen Trend. Die Struktur und Pflege hat sich wirklich gewandelt und so auch unsere Härchen— von Kokosnuss zu Kiwi zu Pfirsich zu Pflaume. Unser Haar wurde immer weicher und weniger bemerkbar.
Jetzt stellt sich dir vielleicht diese Frage: Seit wann wird von einer Frau erwartet, jedes Haar unterhalb der Wimpern waxen zu lassen? Das liegt leider an den letzten 80 Jahren unserer Geschichte. Erst seitdem ist es wirklich üblich sich die Haare zu entfernen. Davor trug man einfach sehr viel mehr Kleidung und Frauen zeigten sehr wenig Haut, weswegen man sich wegen seiner Behaarung keine weiteren Gedanken machen musste. Als sich die Mode veränderte, wurden die Designs auch immer riskanter. Bei genauerer Betrachtung fing alles beim ersten ärmellosen Kleid an. Harper’s Bazaar, die Fashionbibel schlechthin, zeigte die neuen Styles und informierte Frauen über etwas, was sie bis dahin gar nicht wussten: „anstößiges Haar“. Wenn sie von da an gut in einem Kleid aussehen wollten, musste das Haar verschwinden. In derselben Ausgabe des Magazins fand man auch Werbung für Haarentfernungscremes. Dies war schließlich der Anstoß für die Beauty- Industrie und von da an war Körperbehaarung das, was es heute ist: unerwünscht.
Während der 20er Jahre kamen knielange Röcke in Mode und die Haarentfernungscremes waren nicht mehr wegzudenken. In den 50ern schließlich hatte sich die Botschaft überall etabliert und eine ganze Gesellschaft verschmähte die behaarte Frau. Besonders Frauen in den Medien sollten komplett frei von jeglicher Behaarung sein. Das Schamhaar jedoch gab sich nicht so einfach geschlagen. Es gab mal eine Zeit, in der man stolz auf die Locken in seinem Höschen war und das war gar nicht so lange her. Während der 60er und 70er Jahre galt der gepflegte Busch als Avant Garde und gehörte zu jeder sexuellen Fantasie. Das änderte sich erst wirklich in den 80er und 90er Jahren, als man anfing sich mindestens die Bikinizone zu enthaaren. Von da an wurde das Haar unterhalb unseres Bauchnabels immer spärlicher, bis schließlich der Brazilian uns ganz kahl machte. Dies haben wir wiederum der Porno-Industrie zu verdanken; je weniger Haar, desto mehr Genitalien konnte man sehen und das galt als attraktiver. Sexfilmchen wurden immer populärer und das führte dazu, dass Männer und Frauen das gezeigte auf dem Bildschirm als neues Schönheitsideal empfanden. Wenn ihr mich fragt, müssen Vaginas nicht laminiert und gebräunt sein, um sexy auszusehen.
Der haarlose Trend wird aber nicht nur Frauen aufgezwungen. Auch Männer leiden darunter. Vor 30 Jahren gab es wohl nichts, was sexier war, als eine behaarte Männerbrust. Heutzutage sieht man das in der Mode aber nicht mehr. Hier strahlt sie uns gewachst und weich entgegen, fast so wie ein Babypopo. Greif dir mal die letzte Ausgabe der VOGUE und du wirst wohl das ein oder andere Babe darin finden, ohne Shirt und auch ohne Haare. Es ist ganz schön traurig, dass wir jetzt von dem Trend „Manscaping“ umzingelt sind. Vergessen wir auch hier nicht, dass Männer schon immer allein mit ihrer Bartbehaarung im Gesicht genügend zu tun hatten und das auch noch jeden Tag.
Auch wenn unsere Gesellschaft sich mit viel mehr beschäftigt, als nur mit unserer Körperbehaarung, entstehen oft genug die ein oder anderen neuen Trends rund um unseren Flaum. Sie ermutigen uns, unser Haar in all seinen Formen zu lieben. Viele Promis gehen da dem Trend “body hair, don’t care” nach, z.B. Julia Roberts, Madonna, Lady Gaga, Miley Cyrus, Tina Fey, Cameron Diaz. Ich könnte hier noch viel mehr auflisten, aber jede einzelne der Aufgelisteten hat sich gegen das allgemeine Schönheitsideal gestellt und öffentlich die Achselbehaarung zur Schau getragen.
Körperbehaarung bei Frauen wird oft automatisch mit Feminismus assoziiert, ohne weiter darüber nachzudenken. Der Punkt jedoch ist, dass jede Frau für sich entscheiden sollte, ob sie sich die Beine rasiert oder nicht. Ob sie sich die Achseln enthaart oder nicht. Ob sie ihren Schambereich waxt oder nicht — genauso wie es Männer schon immer getan haben. Das sind alles Entscheidungen, die nur der Person selbst zustehen sollten und NUR dieser Person (nicht den Medien, Mode, Gesellschaft, etc.). Manche Frauen und Männer rasieren sich, weil sie sich so sexy fühlen und dann sollten sie das auch so machen. Es ist ihr Körper.
Was ich hier noch erwähnen möchte, man spart nicht nur Zeit und Geld, wenn man seine eigene Körperpflege etwas zurückschraubt, man tut auch seiner Gesundheit etwas gutes. Häufig gewaxte Regionen sind anfälliger für Infektionen und sexuell übertragbare Infektionen. Denk auch nochmal an die anderen Vorteile, die ich weiter oben genannt habe.
Es ist schon etwas verrückt, wenn man bedenkt, wie viel Aufmerksamkeit unserem Haar in der Geschichte geschenkt wurde und wie sehr es sich verändert hat. Ich selbst schwanke oft bei diesem Thema. Manchmal evakuiere ich meinen Körper regelrecht von allem unerwünschten Haar und manchmal hab ich echt besseres zu tun. Ich hatte auch schon mal sehr dünne Augenbrauen und schockte gleichzeitig meine besten Freunde mit der Länge meines Achselhaars. Inzwischen verfolge ich aber das Motto, dass ich mich um meine Haare kümmere, wenn ich es „muss“. Was so viel heißt wie, wenn es kalt draußen ist, ist es auch unter meinen Armen schön kuschelig.
Ich glaube wir sollten Körperbehaarung als das betrachten, was es wirklich ist. Wir sollten alle etwas lockerer werden, den Medien nicht immer zu viel Glauben schenken, und unser Haar lieben. Egal, wo es hervorschaut.
Tags: Haarpflege, Körper, Körperbehaarung
Emma Stern is an American expat who, 5 years ago, fell in love with the city of Berlin and hasn't been able to stay away ever since. A writer and English editor for the Amazingy magazine, Emma's other interests include film, surrealism, avocados, and barefeet. Emma finds herself in perfect harmony with Amazingy's ethos, as a sustainable lifestyle is at the core of her values. She aims to spread her love for life and art through her quirky writing and upbeat attitude.
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Die einzigen Haare, die ich an meinem Körper aktuell regelmäßig rasiere oder wachse, sind meine Augenbrauen und meine Achselhaare. Augenbrauenhaar mag ich einfach nicht an mir, auch wenn mir der Zweck durchaus bewusst ist. ^^ Und Achselhaare sind einfach & schnell zu rasieren, deswegen wird das regelmäßig gemacht… Außerdem habe ich das Gefühl, dass es sich eben auf den Körpergeruch auswirkt. Meine Beinhaare werden kaum mehr rasiert, nur wenn es mich grad akut nervt, was aber immer seltener der Fall ist. Im Sommer würde ich aber trotzdem nicht ohne rasierte Beine ‘rausgehen, einerseits wegen blöder Blicke, andererseits weil ich es… Read more »