Ich probiere einen Schluck Apfelsaft und bin begeistert. Schmeckt nach Kindheit, wo man auf Nachbars Baum kletterte, um Äpfel zu klauen und hoch oben in der Krone noch in den saftigen Apfel biss. Schmeckt nach Vielfalt und Tiefe, fast will ich von einem intensiven, vollmundigen Abgang sprechen, als ob es ein Wein und kein Apfelsaft wäre. Doch mit Apfelsaft hat dieses Getränk ungefähr so viel zu tun wie Primark mit Haute Couture. Die Äpfel kommen bei Ostmost nämlich allesamt von biozertifizierten Streuobstwiesen.
Streuobst? Sind das die Äpfel, die vom Baum fallen und dann verstreut auf der Wiese liegen? “Nein, nicht Fallobst”, sagt Paul Döcker von Ostmost. “Die Bäume stehen verstreut auf einer Wiese, daher der Name”. Auf Streuobstwiesen finden sich Birnen, Walnüsse, Sauerkirschen, Pflaumen, aber vor allem Apfelbäume. Die stehen teilweise zehn Meter und mehr von einander entfernt, so dass dazwischen Kühe weiden können oder man nutzt das Land als Heuwiese oder als Acker.
Damit die Bäume wenig Pflege brauchen, werden stets robuste Sorten ausgewählt, die den lokalen Gegebenheiten von Bodenbeschaffenheit und Klima optimal entsprechen. Die haben dann so lustige Namen wie Geflammter Kardinal, Geheimrat Dr. Oldenburg oder Minister von Hammerstein. Doch den Apfelbäumen und den Streuobstwiesen geht es an den Kragen. Von den 3000 ursprünglichen Sorten, sind gerade Mal 60 noch im Handel erhältlich. Durch zahlreiche lokale und regionale Regelungen, ging die Anzahl von Streuobstwiesen in den letzten 50 Jahren um zwischen 70 und 75 Prozent zurück.
“Reclaim Streuobstwiesen. Austrinken und Aufbäumen” steht daher auf der Rückseite der Ostmost-Flaschen. Eine Kampfansage und eine Vision! Ideengeber Bernd Schock hat dafür 2012 zuerst den Verein „Äpfel und Konsorten“ gegründet um das vielfältige Obst, manche Sorten werden im September reif, andere erst im Januar nach dem Frost, vor dem Aussterben zu bewahren. Doch wohin mit den ganzen geretteten Äpfeln? Die Antwort kam zwei Jahre später als er Ostmost zur Re-Finanzierung aus dem Boden stampfte.
Die Firma gründete er mit Harald Elm, dem die alteingesessene Kelterei Elm in Fulda gehört, wo die Äpfel zu Saft verarbeitet werden. Dennis Meier und Paul Döcker sind für Verkauf und Vertrieb zuständig. Nun will er aber ohne Krawatte und Anzug Sinnvolles tun. Ihr ganzes Know-How und Herzblut stecken sie jetzt in Ostmost.
Zu Beginn gab es Saft, Schorle und Cider (‘wild’ mit 5,5 Prozent und ‘mild’ mit 3,5 Prozent). „Gerade die Cider sind im Club sehr beliebt“ erklärt Paul und mit dem Drehverschluss lässt es sich einfach besser tanzen. Inzwischen gibt es sieben Produkte mit dem minimalistischen Design von Steinkauz, Fuchs, Grünspecht, Pirol, Wiedehopf und Maulwurf auf dem Etikett, darunter Apfel-Minze, Apfel-Rote Beete und Apfel-Johannisbeere.
Der Cider ist etwas herb und nicht zu gefällig. Die Apfel-Johannisbeer-Schorle schmeckt leicht säuerlich, fast wie Traubensaft vom Winzer. Die Apfel-Minz-Schorle muss ich mehrmals trinken, so ungewöhnlich kommt sie daher. Nicht zu süß und sehr erfrischend Dank der Kreuzung aus Wasser und deutscher Krauseminze. In der Apfel-Rote-Beete-Schorle überwiegt der erdig-süße Geschmack der Roten Beete, das muss man mögen, ich finde es lecker. “Die Apfel-Rote-Beete-Schorle polarisiert sehr”, sagt Paul und gesteht, dass sie sich gegen den Kelterer durchsetzen mussten, der dachte: Das verkauft sich nicht. Doch die junge Berliner Marke will sich natürlich auch vom Mainstream-Geschmack absetzen und von Mitbewerbern geschmacklich distanzieren.
Drei Streuobstwieseninitiativen in Thüringen beliefern die junge Berliner Getränkemarke. Doch Paul und seine Mitstreiter haben auch Flächen in Brandenburg gepachtet, die sie nun mit jungen Bäumen neu bepflanzen. “Alte Sorten zu finden, ist dabei die größte Herausforderung”, erklärt Paul. Die jungen Bäume standen den Sommer über bei den Kunden von „Ostmost“, etwa auf der Dachterrasse im Klunkerkranich in Neukölln oder in den Prinzensinnengärten in Kreuzberg. Anschließend werden sie auf Streuobstwiesen in Brandenburg gepflanzt.
Warum sein Herz so an Streuobstwiesen hängt, kann Paul schnell erklären. “Sie werden auch die ‘kleinen Regenwälder Mitteleuropas’ genannt.” Auf einer Streuobstwiese sind bis zu 6000 Pflanzen- und Tierarten beheimatet, vom Löwenzahn bis zur Honigbiene, von der Herbstzeitlose bis zum Fuchs und vom gelben Hohlzahn bis zur Kreuzspinne. Ein Rückzugsort für Flora und Fauna, der unbezahlbar ist.
Außerdem werden die Bäume der Streuobstwiese weder mit Pestiziden, Fungiziden noch mit Herbiziden besprüht und meist von Hand geerntet. “Das ist die erste Qualitätskontrolle”, sagt Paul, denn nur reife Äpfel werden abgenommen – und das schmeckt man. Doch diese behutsame Art der Bewirtschaftung hat ihren Preis, weshalb die Wiesen langsam verschwinden. „Ostmost“ stemmt sich dagegen. So zahlen sie den Bauern mit dem so genannten “Aufpreismodell” den doppelten Marktpreis für die Äpfel. “Wir wollen, dass die Bauern für ihre Arbeit korrekt entlohnt werden”, sagt Paul. So viel Fairness und Qualität hat ihren Preis, weshalb ein 0,33-Fläschen locker mal zwei – drei Euro im Geschäft kostet.
Da die Bäume bis zu 31 Jahre brauchen bis sie die volle Ertragsreife erreichen, dafür aber auch 150 Jahre alt werden können, denken die Macher langfristig.
“Wir ernten die Äpfel unserer Väter und pflanzen die Bäume für unsere Kinder später”, sagt Paul.
Zum Glück kommen die urbanen Genussmenschen langsam auf den guten Geschmack von Streuobstsäften. „Ostmost“ wird bereits in zahlreichen Restaurants, Bars, Clubs und Cafes der Stadt verkauft und sogar beim Sternekoch Tim Raue serviert. Doch es gibt einen Haken. “Das Produkt ist endlich”, sagt Paul grinsend. Denn der Rohstoff ist endlich, weil es einfach nicht mehr viele biozertifizierte Streuobstwiesen gibt. Für Paul kein Grund zu klagen. “Ich mag die Vorstellung ein limitiertes Produkt zu haben, das ist so anachronistisch zu unserer heutigen Zeit, wo alles, immer, überall erhältlich ist.”
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Tina Molin ist die Neugierde in Person. Daher kaum verwunderlich, dass sie Journalistin geworden ist und nun ihr Leben damit verbringen darf, Menschen Löcher in den Bauch zu fragen. Wenn sie nicht bei Amazingy nachhaltige Brands und innovative Persönlichkeiten porträtiert, schreibt sie an einem Fantasy Romane und bastelt an Mix-Tapes für ihr DJ-Projekt New Glitz on the Block. Sie liebt Glitzer-Makeup und Pandas (übrigens wie ihrer kleine Tochter) und tritt stets mutig zu Selbstversuchen wie ‚No Poo’ und ‚Aluminiumfreies Deo’ an.
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